Gegründet 1991 um ein „Jahr der Minderheiten“ auszurufen, entwickelte sich die Initiative Minderheiten in den drei Jahrzehnten ihres Bestehens zu einer österreichweit vernetzten Plattform, die sich für minderheiten- und demokratiepolitische Anliegen einsetzt. Der Verein zielt auf die Förderung des Zusammenlebens von Minderheiten und Mehrheit ab. Der Gründungsidee zugrunde liegt ein breiter Minderheitenbegriff, der wie folgt definiert wird:
Eine Minderheit bilden Personen, die aufgrund ihrer ethnischen, sozialen oder religiösen Zugehörigkeit, sexuellen Orientierung oder Behinderung Diskriminierung erfahren. Diskriminierung ist strukturell als Ausschluss von bestimmten Rechten zu sehen, individuell als Erfahrung von Ausgrenzung und historisch als Verfolgung und Unterdrückung einer Gruppe. Dazu gehören in Österreich unter anderem die sechs gesetzlich anerkannten Volksgruppen, Migrant*innen, Asylwerber*innen und Geflüchtete, LGBTIQs und Menschen mit Behinderung. Die Grundlage für diese Definition ist nicht die geringere Zahl der Gruppenmitglieder, sondern ihre geringere Macht gegenüber einer hegemonialen Mehrheit.
Ausgegangen ist die Idee von Michael Oertl aus Innsbruck – er war auch der erste Obmann -, der gemeinsam mit den Mitstreiter*innen Ursula Hemetek, Vladimir Wakounig, Helga Pankratz (†), Erwin Riess, Waltraud Riegler, Beate Eder-Jordan, Franjo Schruiff, Gerald Nitsche und anderen einen minderheitenübergreifenden Ansatz verfolgte, der sowohl die österreichischen Volksgruppen als auch Migrant*innen und Geflüchtete, LGBTIQ’s und Menschen mit Behinderung inkludiert. Ebenso wichtig war von Anfang an ein gemeinsames politisches und solidarisches Handeln von Minderheiten- und Mehrheitsangehörigen. Die spätere Obfrau, die Ethnomusikologin Urslula Hemetek und ihr Stellvertreter der Innsbrucker Physiker Michael Oertl haben die Initiative Minderheiten entscheidend geprägt. Seit 2003 hat der Klagenfurter Bildungswissenschaftler Vladimir Wakounig den Vorsitz inne. Im Gründungsjahr der Initiative Minderheiten erschien auch die erste Ausgabe der Zeitschrift Stimme, deren Blattlinie sich aus dem minderheitenübergreifenden Ansatz heraus ergab. Die ersten Redakteure waren Gerhard Hetfleisch, Haydar Sari und Vinko Pašalić (†). Hakan Gürses übernahm die Redaktion im Jahr 1993. Seit 2008 ist Gamze Ongan Chefredakteurin der Stimme.
Die Bildung von minoritären Allianzen – ein Begriff, den der Philosoph Hakan Gürses für die Initiative Minderheit geprägt hat und der über einen identitätspolitischen Ansatz hinausgeht – wurde zur Leitlinie für die Arbeit der Initiative Minderheiten. Die Bündelung der gemeinsamen Kräfte zielt darauf ab, auf ähnliche Diskriminierungsformen aufmerksam zu machen, um gemeinsam gegen Rassismus, Homophobie, Antiziganismus und Antisemitismus vorzugehen. Hakan Gürses hat in diesem Zusammenhang auch den Begriff „Politik der Minderheiten“ im Gegensatz zu „Minderheitenpolitik“ (als von anderen gemachte Politik für Minderheiten) etabliert.
Die vom 8. bis 10. Dezember 1994 gemeinsam mit der Gesellschaft für politische Aufklärung im Wiener Don-Bosco-Haus veranstaltete Tagung der Minderheiten war ein wichtiger Schritt zur Umsetzung dieser minoritären Allianzen zwischen unterschiedlichen Minderheitengruppen. Nach dem Bombenattentat in Oberwart in der Nacht vom 4./5. Feber 1995, bei der vier Roma-Angehörige getötet wurden, veranstaltete die Initiative Minderheiten am 10. Februar 1995 eine Presskonferenz mit Stellungnahmen verschiedener Minderheitenvertreter*innen. Mit Ilija Jovanović (†) (Romano Centro), Waltraud Riegler (HOSI-Wien), Terezija Stoisits (Die Grünen), Franci Zwitter (†) (Zentralverband der Kärntner Slowenen), Sigi Maron (†) (Behindertenaktivist), Lena Rothstein (Sängerin und Schauspielerin), Ruža Nikolić-Lakatos (Sängerin), Andre Heller (Personenkomitee Initiative Minderheiten) und Ursula Hemetek (Initiative Minderheiten) wurde nicht nur ein wichtiges Zeichen der Solidarität mit den Opfern von Oberwart gesetzt, sondern auch die breite Allianz der Initiative Minderheiten sichtbar gemacht.
Die Initiative Minderheiten hat mit ihren beiden Büros in Wien und Innsbruck bisher viele minderheitenspezifische Projekte durchgeführt und immer wieder zu politischen Ereignissen Stellung bezogen. Möglich war und ist dies durch die Arbeit der Gründungs- und Vorstandsmitglieder, der Stimme- und Radio-Stimme-Redakteur*innen und der Projekt- und Büromitarbeiter*innen, die anlässlich der 100. Ausgabe der Stimme hier ins Bild gerückt wurden.