Vanessa Spanbauer: Die Sabotage der Ungerechtigkeit – Schwarz sein heißt politisch sein

Schwarze Menschen in Österreich stellen eine Minderheit dar, die oft nicht als solche wahrgenommen wird – denn es gibt weder statistische Zahlen, um wie viele Personen es sich handelt, noch eine klare Vertretung, die alle miteinschließt. Seit der Antike leben Schwarze Menschen auf dem Gebiet des heutigen Österreich, spätestens seit dem 18. Jahrhundert kennen wir Personen auch namentlich. Angelo Soliman, ein angesehener Schwarzer Mann am Wiener Hof, ist einer von ihnen. Doch nach seinem Tod holte ihn die Realität eines Schwarzen Menschen zur Kolonialzeit ein, denn er wurde ausgestopft und in der Wunderkammer ausgestellt. Spätestens seine Tochter, Josephine Soliman[1], die sich nach dem Tod ihres Vaters dafür einsetzte, ihn begraben zu dürfen, kann als die erste Schwarze Frau in Österreich identifiziert werden, die für ihr Anliegen gekämpft hat – damals noch relativ alleine.

Demonstration: Black Movement Austria im Juli 2020. Rund 50.000 Menschen gingen in Wien auf die Straße, um anlässlich der Ermordung von George Floyd gegen Rassismus zu demonstrieren. © Vanessa Spanbauer

Wie viele Schwarze Menschen es heute in Österreich genau gibt, wissen wir nicht. Da Schwarz mit großem S keine biologistische Kategorie ist, sondern ein politischer Begriff, der eine Selbstbezeichnung darstellt, ist es außerdem nicht immer ganz klar, welche Personen sich dieser Gruppe zugehörig fühlen. Es wird damit eine Gruppe von Menschen bezeichnet, die sich über gemeinsame Erfahrungen definiert – gemessen oder statistisch erfasst werden kann das aktuell nicht.

Wir sind hier!

Historisch muss davon ausgegangen werden, dass nicht viele Schwarze Menschen in Österreich den Holocaust überlebt haben. Doch bereits in den Jahren 1945 bis 1955 führte die Präsenz von Schwarzen Soldaten – aus den USA, Frankreich und Großbritannien – zur Existenz Schwarzer Kinder, die in der Forschung oft als Besatzungskinder bezeichnet werden.[2] Jedoch war diese Gruppe geografisch zu zerstreut, um Bewegungen zu bilden. Nach 1955 werden fünf Phasen der Einwanderung Schwarzer Menschen nach Österreich erkennbar. Eine dieser Gruppen sind Geistliche und Priester, die schon in den 1970ern medial sichtbar wurden, in weiterer Folge eine besonders starke Präsenz im ländlichen Bereich aufwiesen und sich für geistliche Thematiken engagierten. Eine weitere Gruppe waren Diplomat*innen, die sich im Zuge der Ansiedlung verschiedenster Institutionen in Wien einfanden ‑ vor allem zu nennen sind hier die zahlreichen Eröffnungen afrikanischer Botschaften infolge der langsamen Dekolonisation. Die für die Minderheitsbewegungen allerdings relevanteste Gruppe, die sich im Nachkriegsösterreich einfand, waren Studierende.[3] Ab den frühen 1950ern kann eine erhöhte Präsenz afrikanischer Studierender an Österreichischen Universitäten beobachtet werden. Unter anderem wurde zum Beispiel 1963 eine Gruppe nigerianischer Studierender aus Sofia in Wien aufgenommen, weil deren Präsenz in Bulgarien zu Konflikten, welche auch mit Rassismus zu tun hatten, geführt hatte, doch auch in Österreich ging es ihnen nicht besser. Als weitere Studierende aus afrikanischen Ländern ihre Diskriminierungserfahrungen teilten, berichteten sogar einige Medien darüber.[4] Beteiligt an den Bemühungen, afrikanische Studierende nach Österreich zu bringen, war das bereits 1959 von Kardinal Franz König gegründete Afro-Asiatische Institut, welches als entwicklungspolitisches Bildungshaus galt und sehr viele Projekte und Initiativen umsetzte. Studierende organisierten Workshops, Seminare und tauschten sich über politische und gesellschaftliche Gegebenheiten in den verschiedensten Ländern aus.

KnowYourRightsBroschüre von Pamoja & HelpingHands © simon INOU

Eine aktivistische Rolle nahm besonders eine weitere Gruppe ein, nämlich die der Zeitungskolporteure, die teilweise aus der Studierendenmigration kamen und deren Job eigentlich als Studierendenjob gedacht gewesen war. Allerdings entwickelte sich das schnell in eine andere Richtung: Es entstand eine Nische am Arbeitsmarkt, weil rechtlich „Fremden“ bei nachgewiesener Kolporteurstätigkeit relativ unbürokratisch eine Aufenthaltsberechtigung ausgestellt werden konnte. Es handelte sich mehrheitlich um ägyptische Männer, doch auch Menschen anderer Herkunft fanden so eine Beschäftigung. Da die Arbeitsbedingungen nicht zufriedenstellend waren, wurden im Jahr 1979 Protestaktionen und Streiks geplant und Unterstützungserklärungen auch von Prominenten und Politiker*innen eingeholt, um diese zu verbessern.[5] Es sollten allerdings nicht die einzigen Betroffenen einer Arbeitsnische bleiben, die sich versammelte, um bessere Rechte einzufordern, denn Taxifahrer schlossen sich ebenfalls zu einem Verein, den African Taxi drivers living in Austria (ATA), zusammen.[6]

Viele Communities, viele Ziele

Schon bei den ersten Vereinen finden sich zwei unterschiedliche Tendenzen, die nationenübergreifende und die nationenspezifische. Die nationenspezifische Entwicklung sorgte dafür, dass es nicht „die afrikanische Community“ in Österreich gibt. Da man nicht einen ganzen Kontinent auf eine einzige Community reduzieren kann, sprechen wir eher von afrikanischen Communities. Schon 1964 gründete sich die Ghana Students Union, welche sich seit 1977 Union of Ghana Nationals in Austria[7] nennt. Im selben Jahr gründete sich ebenso die Nigerian Students Union of Austria. Nationenübergreifend ist besonders ein Verein zu nennen: die Pan-African Students Union of Austria (PASUA), die sich ebenso im gleichen Jahr mit Panafrikanismus auseinandersetzte. Rund 10 Jahre später wurde die South African Students Union in Austria (SASUA) gegründet. Laut den Aufzeichnungen des Dokumentations- und Kooperationszentrums Südliches Afrika (SADOCC)[8] wurden politische Konflikte einzelner Länder wie zum Beispiel Südafrika nach Österreich transferiert. So soll die südafrikanische Studentin Thandi Malepe durch ihre Tätigkeiten im Schüler*innenaufstand in Soweto 1976/1977 maßgeblich zur Etablierung der Anti-Apartheitsbewegung in Österreich beigetragen haben. Ein Teil der Geschichte, den sich Österreich und Uganda für immer teilen werden, hängt mit dem Gasthof „Zum grünen Jäger“ in Unterolberndorf (Niederösterreich) zusammen. 1985 trafen sich dort Mitglieder der Ugandischen Widerstandsbewegung „National Resistance Movement“ (NRM), um Grundlagen für ihre weiteren Pläne und die Pfeiler einer Regierung zu diskutieren. Dieses Treffen gilt als einer der Grundsteine für die tatsächlich geglückte Revolution in Uganda.[9] Einer der Teilnehmer von Unterolberndorf, Yoweri Kaguta Museweni, wurde später als Präsident vereidigt und kehrte als solcher 1994 für einen offiziellen Staatsbesuch in den Ort zurück. Geholfen dieses Vorhaben umzusetzen haben einige Studierende mit Wurzeln in Uganda, die in Österreich lebten. Im Rahmen eines Austauschprogrammes waren schon länger ugandische Studierende nach Österreich gekommen, die unter anderem die Zeitschrift „Uganda Resistance News“ herausgaben.[10]

Anfangs ging es bei politischem Handeln von Schwarzen Akteur*innen der ersten Generation oft um Engagement für die jeweiligen afrikanischen Staaten, in denen ihre Wurzeln lagen. Allerdings änderte sich dies und viele Themen rund um das Leben in Österreich wurden diskutiert. Gemäß der Forschung von Harald Waldrauch und Karin Sohler[11] wies Anfang der 2000er die afrikanische Minderheit die größte Vereinsdichte nach den Österreicher*innen auf. Allerdings konzentrierten sich viele dieser Vereine auf die Bereiche Kultur, Sport und gesellschaftliches Beisammensein und hatten außer Beratungsangeboten wenige politische Ambitionen. Einzelne Personen der ersten Generation fielen dennoch durch ihre starken Positionen auf – sogar Menschen, die für politische Ämter kandidierten, fanden sich immer wieder –, hier spielt dann zunehmend auch die zweite Generation eine Rolle. Politische Akteur*innen waren zum Beispiel Sintayeho Tsehay (SPÖ), Damien Agbogbe (Die Grünen), Mike Chukwuma (Die Grünen) und Bright Oyairo Amenaghown (KPÖ) oder später Herman Nsambang (ÖVP Mauthausen) sowie derzeit unter anderem Beverly Allen-Stingeder (SPÖ Puchenau), Mireille Ngosso (SPÖ Wien), Faika El-Nagashi (Die Grünen, Bund) und Marie Edwige Hartig (Die Grünen Linz).

Die zweite Generation

Ein wichtiger Verein, der als erstes Zeichen der politischen Aktivität der zweiten Generation gedeutet werden kann, war „Pamoja – Bewegung der jungen afrikanischen Diaspora“, der 1996 gegründet wurde. Araba Evelyn Johnson-Arthur beschrieb die Verortung und den Namen des Vereins so: „Unsere kulturelle Vielfalt lässt sich weder national noch kontinental, d. h. einfach afrikanisch, ausdrücken. Da wir die Erfahrung des Lebens jenseits, außerhalb Afrikas miteinander teil(t)en und gleichzeitig unserer Verbundenheit zu anderen Teilen der afrikanischen Diaspora und unseren afrikanischen Wurzeln so Ausdruck verleihen konnten (…).“[12] Pamoja gelang es über die Jahre, zu einer aktiven Stimme in Österreichs zivilgesellschaftlicher Vereinslandschaft zu werden. Bereits 1998 brachte der Verein zusammen mit der Organisation Helping Hands eine „Know Your Rights“-Broschüre heraus, in der rechtliche Hilfestellungen im Umgang mit erlebten Rassismen aufgezeigt wurden. Außerdem entsteht aus Pamoja die Recherchegruppe Schwarze Österreichische Geschichte, die zum Beispiel im Rahmen des Wiener Mozartjahres 2006 die Ausstellung „Verborgene Geschichte/n – Remapping Mozart“ umsetzte[13]. Ziel war es, eine Art „Gegen-Geschichte“ zu verfassen, die einerseits als Reaktion auf die nicht adäquate Darstellung Schwarzer Menschen in den Medien zu sehen ist und andererseits den Prozess eines sich entwickelnden Schwarzen österreichischen Selbstbildes zeigt. Pamoja blieb viele weitere Jahre ein fixer Bestandteil zahlreicher Projekte, Demonstrationen und Aktionen, die die österreichische Schwarze Bewegung in den letzten 25 Jahren prägten.


Die plötzliche Politisierung durch die Polizei

Im Jahr 1999 wurde der Nigerianer Marcus Omofuma im Rahmen eines Abschiebefluges von Polizisten mit Klebebändern an den Sitz geschnürt und ihm wurde der Mund verklebt. Infolge dieser Aktion starb er. Der Fall Omofuma löste eine öffentliche Debatte zum Thema Polizeigewalt aus, in der die Polizisten als Opfer und Omofuma als Täter inszeniert wurden. Proteste gegen diese Praxis der Täter-Opfer-Umkehr und gegen Polizeigewalt, die allen voran von den afrikanischen Communities organisiert wurden, fanden statt. Ein Netzwerk aus 17 afrikanischen Vereinen gründete die Plattform African Community Network, an der Pamoja maßgeblich beteiligt war. Am 8. Mai 1999 fand die erste große, von den afrikanischen Communities selbstorganisierte Demonstration statt. NGOs und Verbündete stellten sich den Communities zur Seite und bildeten eine ca. 3.000 Menschen umfassende Demo, die ausgehend von der Kettenbrückengasse vier Stunden durch Wien zog, um gegen Polizeigewalt einzustehen und auf strukturellen Rassismus hinzuweisen.

Ausgehend von dieser Demonstration gab es Ende Mai 1999 mit der Operation Spring eine große Polizeiaktion, in der gezielt Schwarze Menschen ins Visier genommen und verhaftet wurden, oft ohne konkrete Beweise. Darauf folgte eine breite Medienkampagne, um Schwarze Menschen in den Augen der Bevölkerung als Kriminelle zu diffamieren. 127 Afrikaner*innen wurden festgenommen. Darunter der Schriftsteller Ofoedu Charles, einer der Hauptorganisatoren der Demonstration am 8. Mai. Daraufhin kam es zu einer Monate andauernde Kampagne der Kronen Zeitung, im Rahmen derer Schwarze Menschen als kriminell und als Drogendealer gebrandmarkt wurden. Espérance-François Ngayibata Bulayumi, wichtiger Akteur auch im Rahmen des Afro-Asiatischen Instituts, schrieb in seinem Buch „Dealer wider Willen? Wege afrikanischer Migrantinnen und Migranten nach/in Österreich“ von der Macht der Kronen Zeitung, die dieses kriminalisierende Bild schnell umdrehen könnte, wenn sie es denn wollen würde.

DemoSeibani, 2003 © simon INOU

Doch ein paar Jahre später war der nächste Fall von Gewalt gegen Afrikaner*innen vonseiten der Behörden zu verbuchen. 2003 war Cheibani (Sheibane) Wague Mitarbeiter im „Afrikadorf“, als er in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2003 unter den Händen und Füßen von Polizist*innen und Rettungssanitäter*innen im Wiener Stadtpark starb. Wie schon beim Fall Omofuma wurde wochenlang in den Medien berichtet. Während einige Medien das Geschehene verharmlosten, trugen andere Medien wie der Falter und der ORF maßgeblich dazu bei, den Fall aufzuarbeiten, indem Videomaterial veröffentlicht wurde. Die Plattform Gerechtigkeit für Seibane wurde gegründet, welche Aufklärung und Konsequenzen forderte und noch Jahre danach aktiv blieb und den Prozess gegen die Täter*innen kommentierte. Es fanden abermals Demonstrationen statt, eine erste unter dem Motto „Gegen den institutionellen Rassismus“ und mit folgenden Forderungen:

– Klärung der strafrechtlichen Konsequenzen aller Verantwortlichen
– Vollständige Veröffentlichung des Obduktionsberichtes
– sofortiger Rücktritt des Innenministers
– ein wirksames Antidiskriminierungsgesetz

Schwarze Frauen zeigen ihre Power

Ebenfalls 2003 gründete sich die Schwarze Frauen Community (SFC)[14], die seit jeher mit einem Empowerment-Ansatz arbeitet und es sich zum Ziel gesetzt hat, Schwarze Frauen, Schwarze Kinder und Jugendliche und die Eltern Schwarzer Kinder zu stärken und zu beraten. Schwarze Frauen zu unterstützen, ist ein wichtiger Aspekt in einer Gesellschaft, die von Rassismus und Sexismus geprägt ist. SFC wurde von Beatrice Achaleke und fünf weiteren Frauen gegründet, mittlerweile wird der Verein von Esther Maria Kürmayr geleitet. Zusammen mit Afrikanet.info wurden Schritte gesetzt, um verstärkt öffentlichen Raum einzunehmen. Die Organisation betreibt derzeit im Besonderen eine sehr erfolgreiche Jugendgruppe, die vielfältige Projekte umsetzt.

1stBlackEuropeanWomenCongress, 2007 © simon INOU

Schwarze Frauen standen auch 2007 im Zentrum, denn der Verein AFRA – International Center for Black Women’s Perspectives unter Beatrice Achaleke organisierte den 1st Black European Women Congress, der mit Teilnehmer*innen aus 16 EU-Ländern und der Schweiz aufwarten konnte und sich mit der wichtigen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rolle von Schwarzen Frauen beschäftigte. Eine Liste von Empfehlungen an die EU wurde verfasst, darunter zum Beispiel die Forderung nach in Antirassismus geschultem Personal an Schulen und in öffentlichen Institutionen und der vermehrten Einstellung von Schwarzen Menschen oder die Forderung nach vermehrter politischer Einbindung von Schwarzen Frauen. Der Kongress war der erste seiner Art.

Repräsentation = fundierte Information

Sichtbarkeit und die Entwicklung einer Stimme sind wichtige Werkzeuge, um gesellschaftliche Teilhabe einzuleiten, deshalb gründeten sich bereits in den 1960ern Schwarze Medien, um einerseits wichtige Informationen für die Zielgruppe – damals im Besonderen Studierende – bereitzustellen und andererseits Akzente in der Dekolonisation zu setzen. Di-Tutu Bukasa war mit seiner Bunten Zeitung, später Global Player, und den immigrés sans papiers bei verschiedenen Aktivitäten federführend, die Sport, politische und menschenrechtliche Anliegen verbinden.

Generell wurden in den 1990er-Jahren immer mehr Schwarze Medien gegründet, die sich mit dem Leben von Schwarzen Menschen in Österreich, dem problematischen Afrikabild und dem Blickwinkel auf Themen im Zusammenhang mit Afrika auseinandersetzten und eine Selbstermächtigung von Schwarzen Journalist*innen darstellten. 1997 wurde Radio Afrika gegründet. Dieses Medium und das daraus entstandene Print-Äquivalent „Tribüne Afrikas“ konnte besonders unter Alexis Nshimyimana-Neuberg, Samuel Ogbonna und simon INOU Erfolg erlangen. INOU gründete später M-Media einen Verein zur Förderung der interkultureller Medienarbeit als Teil der österreichischen Medien und Medieninstitutionen und war maßgeblich an der Internetpräsenz von Afrikanet beteiligt.

KampagneBlackAustria, 2007 © simon INOU

Ein Projekt, das daraus entstand und viele weitere Unterstützer*innen fand, war die Kampagne „Black Austria“, die auf die Vorurteile gegenüber Schwarzen Menschen reagierte und versuchte, sie aus dem Weg zu räumen. 2014 gründete INOU, zusammen mit Clara Akinyosoye und vielen weiteren jungen Afroösterreicher*innen, das Magazin fresh – Black Austrian Lifestyle. 2018 fand unter der Leitung von fresh das erste Black Austrian Youth Forum statt, das den Ist-Stand zur Situation junger Schwarzer Menschen aufzeigte und Wünsche an Politik und Gesellschaft formulierte.

So geht es #nichtmituns

Zahlreiche Initiativen und Projekte werden immer wieder gegründet, um sich mit den kolonialen Bildern zu beschäftigen, die in unserer Gesellschaft nach wie vor stark vorhanden sind. 2007 entstand rund um Toledo i Dertschei, simon INOU und Markus Wailand zum Beispiel das Projekt „Mein Julius“[15], welches sich mit der problematischen Figur des Meinl-M***s auseinandersetzt. Grundsätzlich werden von vielen Vertretern Schwarzer Menschen in Österreich Produkte mit Namen wie M*** im Hemd, M*****-Bier und N-Wort-Brot immer wieder aufgrund der diskriminierenden Sprache und des oft rassistischen Logos kritisiert.

In den letzten Jahren trat der Aspekt eines Schwarzen Bewusstseins stark in den Vordergrund, der Bezug auf Nationalstaaten reduzierte sich. Im Besonderen muss hier die zweite Generation genannt werden, die in den meisten Fällen den Anstoß zur Diskussion liefert. Genannt werden kann hier etwa der Protest gegen den Verkauf von menschlichen Überresten im Wiener Dorotheum im Jahr 2017. Versucht wurde, zahlreiche rituelle Gegenstände aus Gegenden mit Kolonialgeschichte – neben Afrika waren auch asiatische und lateinamerikanische Gebiete betroffen – preisgünstig an Privatpersonen zu versteigern. Mit Hilfe einer Mobilisierung auf Social Media gelang es jungen Schwarzen Personen, den Verkauf zu verhindern. Doch die Beschäftigung mit der Rückgabe afrikanischer Kulturgüter und ritueller Gegenstände ist nicht erst seit ein paar Jahren Thema und wird nicht alleine durch die zweite Generation getragen. Bereits seit einiger Zeit gibt es immer wieder Proteste. Mit diesem Thema beschäftigt sich außerdem besonders Kwame Opoku, ehemaliger Rechtsberater der UN in Wien, und veröffentlichte dazu viele Texte – zum Beispiel zur Ausstellung „Benin – Könige und Rituale“ im Jahr 2007 im Museum für Völkerkunde Wien.[16] Es ist also ein Kampf, der von der zweiten Generation weitergeführt wird.

Unter dem Hashtag #nichtmituns erlebte der Widerstand gegen Racial Profiling im Sommer 2018 einen erneuten Höhepunkt, nachdem ein solches Vorgehen von Wiener Polizisten in Wien Neubau gegen eine Gruppe junger Schwarzer Männer bekannt wurde. Die Eingliederung der #nichtmituns-Proteste in die ab Herbst 2018 wieder stattfindenden Donnerstagsdemos gegen die schwarz-blaue Regierung gab dieser Bewegung ebenfalls Zulauf von nicht Betroffenen, die sich einsetzen wollen.

Ebenso versammelten sich Menschen, um die Entscheidung des Burgtheaters zu kritisieren, als Werbung für das Stück „Kampf des N-Wort und der Hunde“ das N-Wort in der Stadt zu plakatieren[17]. Auch Proteste, die die Situationen am afrikanischen Kontinent ansprachen, entstanden, zum Beispiel als die Praxis des Sklavenhandels in Libyen bekannt wurde. Hier schloss sich Wien den Protesten in anderen europäischen Großstädten wie Paris an.

Nichts steht still

Zahlreiche Kunstprojekte wie das durch Poetry geprägte Bodies of Knowlege, die visuelle Komponente von Series:Black oder Ausstellungen und Spaces wie WeDey integrieren künstlerischen Anspruch und politische Message. Safe Spaces wurden geschaffen, die es Schwarzen Menschen erlauben, sich untereinander auszutauschen. Weitere Vereine mit speziellem Fokus gründeten sich in weiterer Folge, wie zum Beispiel Afro Rainbow Austria[18]. ARA ist ein Space für die LGBTQIA+ Community mit afrikanischem Erbe, die zusätzlich zu diversen Freizeitaktivitäten für die Anerkennung ihrer Mehrfachdiskriminierung eintritt. Erst relativ kurz am Parkett befindet sich der Verein ADOE, der ebenso vorhat, jungen Schwarzen Menschen aus der Diaspora eine Vernetzungsmöglichkeit zu bieten. Die jüngste politische Entwicklung in Sachen gesellschaftliche Teilhabe Schwarzer Menschen ist das Projekt Advancing Equality Within The Austrian School System (AEWTASS), welches versucht, das oftmals noch sehr negative Afrikabild im Bildungswesen zu verändern und Diversität auch in den Inhalten zeigen will. Viele Projekte, Bewegungen, Vereine, Aktionen, Bewegungen und Einzelpersonen, die essentiell wichtig waren, um Schwarze Menschen sichtbar zu machen und ihre Stimme hörbar zu machen, können hier aus Platzmangel leider nicht erwähnt werden. Sicher ist, dass hier viele weitere Namen aufscheinen müssten.

In Anbetracht der momentan politischen und gesellschaftlichen Stimmung, in der Rassismus zunimmt und immer akzeptierter wird, ist es für Schwarze Menschen wichtig, ihre Geschichte zu erzählen und öffentlich Maßnahmen zu entwickeln, die das immer noch vorherrschende Bild von Schwarzen Menschen ändern. Mit einer immer selbstbewusster werdenden und wachsenden Schwarzen Minderheit wird es zahlreiche weitere Projekte, Aktionen und Bewegungen geben, die nicht aufgeben, bis das Ziel  der Gleichberechtigung, der Repräsentation, der Reflexion des Kolonialismus, der Rückgaben und vieles mehr erreicht ist.


Timeline

1959 Gründung des Afro-Asiatischen Instituts

1963 Eine Gruppe politisch aktiver nigerianischer Studierender aus Sofia wird in Wien aufgenommen, sie äußern sich in den Medien über ihre Diskriminierungserfahrungen

1964 Gründung der ersten afrikanischen Vereine mit verschiedenen Interessen, wie Ghana Students Union, Nigerian Students Union of Austria, Pan-African Students Union of Austria

1979 Protestaktionen der African Taxi drivers living in Austria (ATA)

1985 Wegbereitung für die Demokratie in Uganda durch das Treffen des „National Resistance Movement“ in Unterolbendorf in Niederösterreich

1996 Pamoja – Bewegung der jungen afrikanischen Diaspora wird gegründet

1997 Radio Afrika wird gegründet (2000 folgt das Print-Äquivalent Tribüne Afrikas)

1998 Die erste Broschüre für Betroffene von Rassismus wird von Pamoja & Helping Hands herausgegeben

1999 Tod von Marcus Omofuma begleitet von zahlreichen Protesten der afrikanischen Communities Operation Spring und eine gezielte Medienkampagne gegen Menschen mit afrikanischen Wurzeln

2000 Gründung der Bunten Zeitung (später Global Player)

2003 Der Tod von Cheibani (Sheibane) Wague löst eine erneute Debatte zum Thema Gewalt durch öffentliche Behörden aus und die Plattform Gerechtigkeit für Seibane wird gegründet, die Aufklärung und Konsequenzen fordert Gründung der Schwarze Frauen Community

2004 Gründung der Plattform Afrikanet für Informationen über das Leben von Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland, Österreich und der Schweiz

2007 Der First Black European Women’s Congress wird von AFRA – International Center for Black Women’s Perspectives (Vienna) initiiert und die Kampagne „Black Austria” wird gelauncht

2010 Veröffentlichung „Lagebericht Schwarze Menschen in Österreich 2009“

2011 Lagebericht „Schwarze Menschen in Österreich 2010“

2014 Das Medium fresh –Black Austrian Lifestyle wird gegründet und Protest gegen ein Stück bei den Wiener Festwochen wegen Blackfacing & rassistischen Bildern

2017 Protest gegen den Verkauf von menschlichen Überresten vor dem Dorotheum ud Gründung Afro Rainbow Austria

2018 #nichtmituns, eine Allianz gegen Racial Profiling und die Afrikanische Diaspora Austria (ADOE) wird gegründet

2019 Projekt Advancing Equality Within The Austrian School System (AEWTASS) thematisiert Diskriminierung gegen Schwarze Menschen im Bildungswesen


Quellen und Links:

Adler Tal (Hg.), Rohrbach Philipp (Hg.), Wahl Niko (Hg.), SchwarzÖsterreich. Die Kinder afroamerikanischer Besatzungssoldaten (2016)

Bulayumi Espérance-François Ngayibata, Dealer wider Willen? Wege afrikanischer Migrantinnen und Migranten nach/in Österreich (2009)

Chuckwubuike Walter Ajaegbu, Afrikanische Organisationen in Wien, unveröffentlichte Studie im Auftrag des ÖGB (2000)

fresh – Black Austrian Lifestyle, derzeit unter Radio Orange

INOU simon (Hg.), Beatrice Achaleke (Hg.), Schwarze Menschen in Österreich Lagebericht – Jahresbericht 2010 (2011

Johnston-Arthur Araba Evelyn, Die junge Afrikanische Diaspora in Österreich. In: Kumpfmüller Karl A. (Hg.), Europas langer Schatten – Afrikanische Identitäten zwischen Selbst- und Fremdbestimmung (2000)

No.racism.at

Radio Afrika.net

Sauer Walter, Spanbauer Vanessa, Blackening Vienna – Aspekte afrikanischer Präsenz in Wien seit 1918 (2019)

Sauer Walter (Hg.), Von Soliman zu Omofuma – Afrikanische Diaspora in Österreich 17. bis 20. Jahrhundert (2007)

Sohler Karin, Waldrauch Harald, Migrantenorganisationen in der Großstadt. Entstehung, Strukturen und Aktivitäten am Beispiel Wien (2004)

Unterweger Claudia, Talking Back – Strategien Schwarzer österreichischer Geschichtsschreibung (2016)


[1] Eine kurze Aufarbeitung ihrer Geschichte findet sich unter Remapping Mozart.

[2] Adler Tal (Hg.), Rohrbach Philipp (Hg.), Wahl Niko (Hg.), SchwarzÖsterreich. Die Kinder afroamerikanischer Besatzungssoldaten (2016).

[3] Sauer Walter, Spanbauer Vanessa, Blackening Vienna – Aspekte afrikanischer Präsenz in Wien seit 1918 (2019).

[4] Walter Sauer erwähnt in seinem Werk „Von Soliman zu Omofuma“ hier einen Redakteur des Mediums „Die Presse“, der einen Neuankömmling aus Sierra Leone bei der Zimmersuche begleitet, die in sechs von sechs Fällen mit einer fadenscheinig begründeten Ablehnung der Vermieter für den Suchenden endet.

[5] Mehr Infos unter Gastarbajteri. 40 Jahre Arbeitsmigration

[6] Weitere Entwicklungen in Sauer Walter (Hg.), Von Soliman zu Omofuma – Afrikanische Diaspora in Österreich 17. bis 20. Jahrhundert (2007).

[7] Die Ziele sind nachzulesen unter: Union of ghanaian nationals in Austria

[8] sadoc – Dokumentations- und Kooperationszentrum Südliches Afrika

[9] Österreichisch-Ugandische Freundschaftsgesellschaft

[10] Ein kleiner Teil dieser Geschichte wird auch in der Ausstellung im Haus der Geschichte Österreich erzählt.

[11] Sohler Karin, Waldrauch Harald, Migrantenorganisationen in der Großstadt. Entstehung, Strukturen und Aktivitäten am Beispiel Wien (2004).

[12] Johnston-Arthur Araba Evelyn, Die junge Afrikanische Diaspora in Österreich In: Kumpfmüller Karl A. (Hg.), Europas langer Schatten – Afrikanische Identitäten zwischen Selbst- und Fremdbestimmung (2000).

[13] Remapping Mozart

[14] Schwarze Frauencommunity

[15] Mein Julius

[16] IG-Kultur Österreich

[17] Weitere Informationen unter: Wienerin.at

[18] AfroRainbowAustria


Vanessa Spanbauer ist Historikerin und seit 2010 als Journalistin tätig. Sie wurde Ende 2016 mit der Chefredaktion des Magazins fresh – Black Austrian Lifestyle betraut. Darüber hinaus war sie Teil des Projektteams von „Lost in Administration. Die Geschichte der Kinder afroamerikanischer GIs in Österreich“ (Universität Salzburg) und Mitarbeiterin des Projekts „Blackening Vienna. Aspekte afrikanischer Präsenz in Wien seit 1918“. Außerdem arbeitet sie im Bereich der Digitalen Kommunikation & Öffentlichkeitsarbeit.