Die aktuelle Ausgabe der STIMME #119/2021: Angriff auf links

„Im Unterschied zum Rechtsextremismus teilen sozialistische und kommunistische Bewegungen die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“ Eine Formulierung, ein Skandal. Die Empörung auf Twitter, die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) würde mit dieser Formulierung in einem Online-Dossier linksmotivierten Extremismus bagatellisieren, übersprang schnell auf rechte Online-Publikationen und die Bild-Zeitung über. Letztere titelte am 12. Jänner 2021: „Verharmlosung des Kommunismus: Sind Linke die besseren Extremisten?“ Die Bundeszentrale für politische Bildung musste kurz darauf die Formulierung, die bereits ein Jahrzehnt im Netz stand, ändern. Wie später, im März 2021, bekannt wurde, hatte das Innenministerium der Institution diktiert, was unter Linksextremismus zu verstehen sei.

Wir kennen es: Sobald rechte Gewalt eskaliert, muss es schnappatmend auch um links gehen – entsprechend dem sogenannten Hufeisenschema, nach dem politische Kräfte sich lediglich dadurch unterscheiden, ob sie den Staat und seine Ordnung akzeptieren und unterstützen oder ablehnen bis bekämpfen. In diesem Modell sind Links- und Rechtsextremismus einander viel näher als jeweils der „gemäßigten“ Mitte. Was diese Theorie aber nicht berücksichtigt: Die Ziele von links und rechts, ihr Menschenbild und ihr Weltbild unterscheiden sich radikal. Auch wird die Unterscheidung von totalitären oder anarchistischen Kräften ausgespart.

Diese Ausgabe befasst sich damit, wie die Linke von Konservativen und der „braven“ Mitte unter Beschuss genommen wird, aber auch mit der Notwendigkeit ihrer Neuorientierung.

Angesichts „linksdrehender Attitüden“ der Rechten und fehlender Distanz der Linken – etwa zum Antisemitismus – fällt es nicht immer einfach, die Linke zu verorten. Hakan Gürses analysiert einleitend drei Quellen, aus denen sich die Linke speist.

Leah Carola Czollek und Gudrun Perko vom Institut „Social Justice & Radical Diversity“ zeigen auf und problematisieren die Stigmatisierung der linken Kräfte durch die Mitte anhand von aktuellen Beispielen aus Hochschulen, Wirtschaft und sozialer Arbeit.

Appelle an Genderpluralität werden seitens der Rechten und ebenso der konservativen Mitte als „genderideologisch“, sprich „linksideologisch“, diffamiert. Die Politikwissenschaftlerin Stefanie Mayer widmet sich in ihrem Beitrag Feminismen, Gleichstellung und liberalen Sexualpolitiken als neuem Feindbild der Rechten.

Julia Schönherr fragte den Politikwissenschaftler Benjamin Opratko von der Universität Wien, wie sich das Verständnis von links historisch gewandelt hat, warum sich linke Wahlbündnisse schwertun, Fuß zu fassen und ob links automatisch antirassistisch ist.

An dieser Stelle einen herzlichen Dank an Leah Carola Czollek und Gudrun Perko sowie an Hakan Gürses für die Idee und Konzeption dieser Ausgabe.

„Frauen, die behindert werden“ ist der Titel einer im Auftrag des Frauenservice Wien durchgeführten qualitativen Studie mit und über Frauen mit Behinderungen in Wien. Wir haben die Studienautorinnen Claudia Sorger und Nadja Bergmann von der L&R Sozialforschung gebeten, die wichtigsten Ergebnisse zusammenzufassen. 

Cornelia Kogoj bringt in der zweiten Folge des Stimme-Talks zum Jubiläum „Junger Aktivismus und minoritäre Allianzen“ Noomi Anyanwu vom „Black Voices Anti-Rassismus-Volksbegehren“ und Samuel Mago von „HÖR – Hochschüler*innenschaft Österreichischer Roma und Romnja“ an einen Tisch.

Unser 30. Geburtstag war auch Anlass dafür, mit Wegbegleiter:innen der Initiative Minderheiten kleine Interviews zu führen. Vor allem wollten wir wissen, was für Menschen, die seit Jahrzehnten (minderheiten)politisch aktiv sind, die größten Errungenschaften der vergangenen Jahre darstellen und was sie heute am meisten beschäftigt – sprich: Was ist noch zu tun? Die Langversionen der Interviews finden Sie auf www.imblog.at.

Durchatmen und neue Freude am Sommer wünscht

Gamze Ongan, Chefredakteurin


Stimmlage: Angst in der Pandemie – von Hakan Gürses

Groll: Herr Groll wartet auf die Ever-Given-Endfassung – von Erwin Riess

Nachlese: Queer(ing) Video Games – von Nico Reiter und & Melanie Konrad

Lektüre: Schulsozialarbeit und Antisemitismus – von Hakan Gürses, Gemeint sind wir alle – von Jessica Beer, Diskriminierung – Annäherung an einen schillernden und umstrittenen Begriff – von Volker Frey


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Grafik: Fatih Aydoğdu


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