Wir sind sprachlos und unendlich traurig über den Tod unseres langjährigen Vorstandsmitglieds, Stimme-Autors und Freundes Erwin Riess.
Aus: Stimme 120/2021:
In einer Welt der Ungleichheiten: Kämpfer:innen in Allianz.
für Gerechtigkeit und Menschenrechte
„Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte“
Erwin Riess
Könnte Erwin Riess seinem 25-jährigem Ich einen Rat geben, so würde dieser lauten: „Lesen, denken, leben, lieben, nichts bereuen.“ Der Liebhaber von Donau, Schiffen und ungarischen Fischsuppen lebt heute abwechselnd in Wien-Floridsdorf und am Wörther See in Kärnten. Ein typischer Tag besteht bei Riess aus „arbeiten, trainieren, einkaufen und wieder arbeiten. Und Abenden beim Binder-Heurigen, wo der ,Ständige Ausschuss zur Lösung sämtlicher Welträtsel in Permanenz‘ tagt.“
Der Schriftsteller wurde 1957 in Wien geboren. Aufgewachsen ist er, wie er es selbst formuliert, in der Kremser Donauau und im Kremser Hafen. Als Jugendlicher wollte Riess Donaufischer werden – „später Donaumatrose, dann Donaukapitän und jetzt, im Alter, Donaubeobachter“. Nach der Schulzeit in Krems studierte er aber zunächst einmal Politik- und Theaterwissenschaft an der Universität Wien und arbeitete als Verlagslektor. Von 1984 bis 1994 war er wissenschaftlicher Referent für behindertengerechtes Bauen im Wirtschaftsministerium. Riess unterrichtet seit vielen Jahren an der Universität Klagenfurt im Bereich „Independent Living“.
Bei all den finsteren Abgründen Österreichs, in die Riess schaut, verliert er nie die Leichtigkeit, die seine Leser:innen schmunzeln lässt. 2016 erschien ein ganz anderes Buch, das Riess gemeinsam mit Rudolf Likar, Primar an der Intensivstation des Klinikums Klagenfurt, herausgegeben hat: „Unerhörte Lust. Zur Sexualität behinderter und kranker Menschen“. Das Buch versammelt Beiträge sowohl von Mediziner:innen, die sich mit Krankheitsbildern im Kontext der Sexualität beschäftigen, als auch von Menschen mit Behinderung, die von ihrer „unerhörten Lust“ erzählen. Sehr zu empfehlen: „Umwege zur Lust oder Herr Groll schreibt einen Brief“, den Riess an den querschnittgelähmten Sohn eines Freundes richtet.
Seit 1994 arbeitet Riess als freier Schriftsteller. 2002 wurde er mit dem Würdigungspreis des Landes Niederösterreich für Literatur ausgezeichnet. Das literarische Schaffen von Riess umfasst Erzählungen, Theaterstücke und Romane – die meisten davon mit seinem Prota- gonisten, dem Privatdetektiv Groll, Rollstuhlfahrer und Liebhaber der Binnenschifffahrt. Zumeist im Auf- trag seines väterlichen Freundes, dem italo-amerikanischen Mafioso Giardano, reist Groll unter anderem nach Kärnten, um im „politischen Jurassic Park“ Europas zu ermitteln (in „Herr Groll im Schatten der Karawanken“), weiter nach Rom, um zwei Weltverschwörungstheorien auf die Schliche zu kommen (in „Herr Groll und die Stromschnellen des Tiber“), und von New York, wo er sich immer wieder aufhält, nach Ungarn und Österreich, um sich als Hilfsschlepper zu betätigen (in „Herr Groll und die Donaupiraten“). In seinem neuesten Roman geht es nach Salzburg: „Groll und die Wölfe von Salzburg“ ist gerade im Otto Müller Verlag erschienen.
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Von Romana Beer | Mitarbeit: Gamze Ongan
Foto: Mehmet Emir (2021)