Doron Rabinovici: Das ist der Moment, um Farbe zu bekennen

Dieser Beitrag ist am 9.10.2023 im FALTER erschienen.

Wer angesichts der Aufnahmen aus Israel die Untaten der Hamas durch den Verweis auf die israelische Besatzung relativiert, verteidigt die Massenmörder.

© Lukas Beck

Fernab meiner Nächsten in Israel bin ich ihnen in diesen Tagen näher noch als sonst. Ich folge den hebräischen Sondersendungen. Ich vergrabe mich in die sozialen Medien. Ich höre von jüdischen Bekannten, dessen Angehörige umgebracht wurden. Alle sorgen sich um ihre Liebsten. Ich rufe meine Verwandten an. Mein Bruder, ein Arzt, berichtet mir von den Verwundeten im Krankenhaus, von vielen, die mit Kopfschuss eingeliefert werden. Die Dschihadisten fielen über ein Trance-Festival her, um wahllos Menschen abzuschlachten. Unter den zahllosen Toten, sagt mein Bruder, ist der Sohn seines Kollegen.

Die Hamas schickte Mordbanden über die Grenze, um Unschuldige zu töten. Zu Hunderten zogen sie los, drangen mitten am Feiertag in jüdische Dörfer und Städte ein. Sie erschossen, wen immer sie auf der Straße trafen. Sie brachen in Wohnungen ein. Sie gingen von einem Haus zum nächsten. Die Mörder klopften an die Türen der Bunker, hinter denen sich Kinder, Eltern, Alte verschanzt hatten. Sie rotteten ganze Familien aus. Sie nahmen Manche als Geiseln mit. Sie vergewaltigten Frauen. Sie drehten von all dem Filme. Sie riefen dabei unentwegt: „Allahu Akbar“. Sie schändeten die Leichen, luden sie auf Pickup Trucks, um mit ihren Waffen auf den halbnackten Toten thronend in Gaza einzufahren.

Nichts davon ist ein legitimer Kampf. Die Hamas regiert über ein Gebiet und unterhält eine Armee mit Waffen und Uniformen. Ihre Raketen sollen zivile Orte treffen. Von Kriegsverbrechen ist hier zu sprechen und sie sind nicht nur ein Mittel zum Zweck, sind kein Kollateralschaden, der versehentlich entstand oder in Kauf genommen wird. Das Kriegsverbrechen ist das eigentliche Ziel. Die eigene Bevölkerung wird zum Schutzschild des Terrorregimes, das sie unterdrückt. Die Massaker an Juden werden nicht geleugnet, sondern zelebriert. Alles wird auf den Videos der Hamas festgehalten.

Wer jetzt angesichts der Aufnahmen diese Untaten durch den Verweis auf die israelische Besatzung relativiert, verteidigt die Massenmörder. Zweifellos kann nicht wenig an israelischer Politik kritisiert werden, aber nichts rechtfertigt das Vorgehen der Hamas.

Während in Israel die Dschihadisten noch mordeten, zogen in Wien – aber auch in anderen europäischen Städten – schon ihre politischen Anhänger durch die Straßen. Sie, die gerne vorgeben, das Leid des palästinensischen Volkes lindern zu wollen, feierten wieder einmal offen das Abschlachten jüdischer Menschen, und – tatsächlich – sind es jüdische Einrichtungen in der Diaspora – Synagogen, Schulen, Gemeindezentren – die an solchen Tagen ins Visier des Hasses und des Terrors geraten.

Das ist der Moment, da es gilt, jenseits der Sonntagsreden und Erinnerungsrituale Farbe zu bekennen. Der Kampf gegen Antisemitismus kann nicht redlich geführt werden, ohne für das Existenzrecht und die Sicherheit Israels und seiner Zivilgesellschaft einzustehen.


Doron Rabinovici ist Schriftsteller und lebt in Wien. Zuletzt erschien bei Suhrkamp Die Einstellung.