Die aktuelle Ausgabe der STIMME #137/2025 – Nach der Befreiung – Jahrzehnte bis zur Anerkennung nationalsozialistischen Unrechts

Nach der Befreiung

Das ausklingende Erinnerungsjahr 2025 stand im Zeichen der Befreiung der Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager, der Verfolgten in Verstecken und im Exil sowie der Erinnerung an zahlreiche weitere Opfer des Nationalsozialismus. Das Ende der Gewaltherrschaft vor 80 Jahren bedeutete jedoch keineswegs auch das Ende des erlittenen Unrechts. Die Hoffnungen vieler Verfolgter auf einen Neubeginn nach 1945 wurden bitter enttäuscht. Es dauerte oft Jahrzehnte, bis das Unrecht als solches anerkannt und – meist nur symbolisch – entschädigt wurde.

In dieser Stimme beschäftigen wir uns mit den Kontinuitäten diskriminierender Politik gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus in der Zweiten Republik. Unsere Autor:innen zeigen auf, wie lange viele Betroffene auf Anerkennung warten und wie beharrlich sie kämpfen mussten, bis ihr erlittenes Unrecht sichtbar wurde und Gerechtigkeit möglich war.

Brigitte Bailer, Historikerin und ehemalige Leiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW), zeigt in ihrem einführenden Text, wie NS-Zuschreibungen auch in der Nachkriegszeit die Anerkennung der Überlebenden als Opfer und ihre Chancen auf Entschädigung beeinflussten.

Es ist ein Skandal, dass den Überlebenden des Porajmos, des NS-Genozids an Rom:nja und Sinti:zze, die Anerkennung durch das offizielle Österreich lange verwehrt blieb. Der Historiker Gerhard Baumgartner macht am Beispiel der Familie Konrad und Anna Reinhardt deutlich, wie bürokratische Willkür über Jahrzehnte hinweg über das Leben der Betroffenen entschied.

„Unsere Demokratie ist erneut in Gefahr.“ Mit dieser eindringlichen Warnung meldet sich Nationalfonds-Vorständin Hannah M. Lessing zu Wort. Im Gespräch mit der Stimme erzählt sie von der politischen Zäsur, die vor 30 Jahren zur Gründung des Fonds führte, den Herausforderungen, über Jahrzehnte ignorierte Opfergruppen sichtbar zu machen, und der Notwendigkeit, das Erinnern immer wieder neu zu denken.

Bereits im Herbst 1943 beschlossen die alliierten Außenminister, Österreich nach dem Krieg an seinem Beitrag zur eigenen Befreiung zu messen. Dennoch wurde die widerständige slowenische Bevölkerung Kärntens nach 1945 nicht gewürdigt und lange Zeit nicht als Opfer anerkannt. Die Historikerin Brigitte Entner nimmt die Diskriminierung und Verfolgung der Kärntner Slowen:innen vor und nach dem Krieg in den Blick.

Ein weiteres Kapitel verwehrter Gerechtigkeit dokumentieren Bernhard Schneider und Michael Haupt vom Jenischen Archiv, Innsbruck: Wäre Friedrich D. nicht im KZ ermordet worden, hätte er als jenisches Opfer 126 Jahre alt werden müssen, um erst 2024 im Rahmen des Opferfürsorgegesetzes Gerechtigkeit zu erfahren.

Im Zentrum des Beitrags von Brigitte Halbmayr, Soziologin und Politikwissenschaftlerin, stehen jene Frauen, die im Nationalsozialismus als „asozial“ verfolgt und in Konzentrationslager deportiert wurden. Halbmayr beschreibt die Auswirkungen der bis zur Gründung des Nationalfonds 1995 verweigerten Anerkennung auf ihre Familien und Nachkommen.

An dieser Stelle gilt ein herzlicher Dank Karin Lehner und Cornelia Kogoj für ihre konzeptuelle Unterstützung bei der Entstehung dieses Schwerpunkthefts.

In eigener Sache

Seit Herbst stellt sich uns eine schwierige Frage: Können wir die nächste Stimme-Ausgabe, geplant für Frühjahr 2026 und in diesem Heft bereits angekündigt, tatsächlich realisieren? Und wie lange wird die Initiative Minderheiten noch am Leben sein?

Die Lage ist ernst. Öffentliche Förderungen werden knapp – in einem Ausmaß, das unsere Arbeit massiv gefährdet. Doch wir suchen nach Lösungen, arbeiten an neuen Projekten und geben nicht auf.

Damit wir weitermachen können, sind wir auch auf die Unterstützung unserer Leser:innen, Verbündeten und Wegbegleiter:innen angewiesen.

Unser Ziel ist klar: Die Initiative Minderheiten und ihre Stimme sollen auch 2026, im 35. Jahr ihres Bestehens, hörbar bleiben.

Arbeiten wir gemeinsam daran – mit aller Kraft!

Ein gutes Jahr wünscht

Gamze Ongan, Chefredakteurin


Gestaltung: Fatih Aydoğdu

Lektorat: Daniel Müller


Wir freuen uns über jedes neue Abonnement

Aboservice: abo(at)initiative.minderheiten.at

Neue Abopreise:

Jahresabo: € 30,- // Zwei-Jahresabo: € 50,-
Abo International: € 50,- // Zwei-Jahresabo International: € 75,-
(Für Vereinsmitglieder kostenlos, Mitgliedschaft jährlich € 35,-)